GoTIK
Kathedrale von Saint-Denis, Paris
Geschichtliches
Während Saint-Denis, ein nördlicher Vorort, heute gelegentlich durch wenig erfreuliche Schlagzeilen von sich reden macht, war es im 12. Jh. ein befestigtes Städtchen, dem das Kloster, Grablege der französischen Könige seit dem 10. Jh., große Bedeutung verlieh.
Die Herrscher des seit diesem Zeitpunkt regierenden Kapetinger-Geschlechts stützten sich um 1100 im wesentlichen auf das kleine Gebiet der Île-de-France rund um Paris. Ohne großes politisches und militärisches Gewicht waren sie umgeben von mächtigen Nachbarn, teilweise unbotmäßigen Vasallen, wie dem Grafen der Champagne, dem Herzog von Burgund und dem Herzog der Normandie, der als König von England auch weite Teile im Westen und Süden Frankreichs beherrschte.
Unter Ludwig VI., dem Dicken (1108-1137) änderte sich die Situation. Er unterwarf die unbotmäßigen Vasallen, schaffte zusammen mit Suger, Abt von Saint Denis seit 1122, eine zentrale Verwaltung. Unter Ludwig VII. wurde das Königshaus weiter gestärkt, trotz seiner erfolglosen Teilnahme am 2. Kreuzzug.
Das Kloster geriet seit dem 19. Jh. vor allem durch seine Kirche in den Blickpunkt der Kunsthistoriker. Anfang des 12. Jh. ein karolingischer Bau, durch den Ehrgeiz des Abtes Suger umgebaut, gilt es heute vielen Autoren wegen des Chorumgangs und des Kapellenkranzes aus dem 12. Jh. als Geburtsort der Gotik - worauf allerdings auch die Kathedralen von Noyon und Senlis Anspruch erheben.

Baugeschichte
Suger wollte die Klosterkirche aus dem 8. Jh. unbedingt erneuern und begründete das mit dem Andrang der Pilger, die sich an den Gräbern der frz. Könige drängten.
Um 1137 begann ein Baumeister mit Westbau und Narthex, der mit 2 Jochen die Verbindung zum karolingischen Langhaus herstellte. Schon 1140 stoppte Suger diese Arbeiten, obwohl die Baugruppe nach Meinung von Fachleuten noch nicht fertig war. Der Abt sorgte sich um die rechtzeitige Vollendung seines Lebenswerkes und begann Chor und Krypta zu bauen. In der Tat erlebte er den Umbau von Langhaus und Querhaus nicht, wohl aber die Vollendung des Chores, mit dessen Umbau er sehr wahrscheinlich nicht den Baumeister des Narthex betraute.
Der Grundstein für Krypta und Chor wurde 1140 gelegt. Nach einer Bauzeit von nur 3 Jahren und 3 Monaten wurden Altäre geweiht. Die Anwesenheit von König, Hochadel, 5 Erzbischhöfen, 14 Bischöfen unterstrich die Bedeutung der Zeremonie.
1151, nach Sugers Tod, stoppten die Bauarbeiten. Der Chor war wohl weitgehend fertig, einschließlich der teuren und prächtigen Verglasung, von der nur noch Reste original sind.
Erst 80 Jahre später begann der weitere Umbau der noch weitgehend karolingischen Kirche, nun im Stil der Hochgotik. Die neuen Meister nahmen gottlob Rücksicht auf den Chorumgang aus dem 12. Jh., ungewöhnlich, wie man aus der Baugeschichte weiß.
Im 19. Jh. wird die Fassade mehr oder weniger geschickt restauriert.
Architektur: Frühgotik, 12. Jahrhundert
Fassade
Die Bilder des berühmten Chorumgangs aus dem 12. Jh. im Kopf, lief ich bei meinem kürzlichen Besuch Gefahr, der optisch wenig ansehnlichen West-Fassade nicht viel Aufmerksamkeit zu schenken. Es wäre ein Fehler gewesen, glaubt man vielen Fachleuten. Also nahm ich mir Zeit.
Die Fassade ist 3-zonig, die einzelnen Elemente zwischen vier mächtigen Strebepfeilern zurückgesetzt. Sie schließen ab mit einem Zinnenkranz. Ein Rundfenster im Giebel betont das Zentrum.
Der Westbau ist verstümmelt. Der Nordturm, der einen der prachtvollsten Helme der Gotik getragen haben soll, wurde abgerissen.
Aber, in Fortsetzung normannischer Tradition, wurde Saint-Denis nach Otto von Simson zum Vorbild aller Doppelturmfassaden der französischen Gotik. Die drei Portale mit erstmals systematischer Anordnung von Statuen, Tympanon und Archivolten gelten auch nach Alain Erlande-Brandenburg als wegweisend. Der Autor urteilt, „that in its original state the west portal of Saint-Denis must have been one of the most splendid chapters in the history of Gothic sculpture“.
Revolution und Restaurierung sind 20 Gewändestatuen, Persönlichkeiten des Alten Testaments darstellend, zum Opfer gefallen. Barral i Altet hält sie für bahnbrechend bei der Entstehung gotischer Bauplastik.
Narthex
Er enthält mehrere Räume in den Obergeschossen, die von zwei mächtigen Freipfeilern getragen werden. Viele schlanke Dienste, umstellen sie und suggerieren Leichtigkeit. Das unterschiedliche Niveau der Kapitelle beeinträchtigt das Bild.
Krypta
Seinen Bekanntheitsgrad verdankt die Kirche einem Bauteil auf der entgegengesetzten Seite, dem Chor im Osten, dem Beginn gotischen Bauens.
Zunächst ein kurzer Besuch der mächtigen Krypta, romanisch, mit Umgang und 7 radial angeordneten Kapellen. Beginnend mit dem Merowinger Dagobert I. (7. Jh.) wurden hier französische Könige bestattet.
Chorumgang
Nun endlich. Der eigentliche Grund meines Besuches: Der Chor des Abtes Suger, dem die Krypta ein solides Fundament ist.
Falls der Bauherr vom Meister Licht verlangt haben sollte - er hat es bekommen, durch einen Kranz von 7 radial angeordneten Kapellen. Das Licht flutet durch die 2 großen Spitzbogenfenster jeder Kapelle und beleuchtet feierlich den doppelten Umgang. Da ist in der Tat Neues gegenüber den Chören der Romanik. Aus den Fensteröffnungen in der Wand sind Wände aus Glas geworden.
Getrennt sind die flachen Kapellen nur durch starke Stützen, deren schweres Mauerwerk durch drei eingestellte elegante Säulen kaschiert wird. Sie tragen die Rundrippen im Gewölbe auf der Kapellenseite und den Gutbogen.
Schlanke Säulen stehen als Zentrum des Gewölbesystems im Halbrund zwischen Kapellen und Binnenchor. Sie markieren die Teilung des Umgangs und tragen die spitzbogigen Kreuzrippengewölbe. Der Raum wirkt wie eine elegant gegliederte einheitliche Halle.
Das werden auch die Baumeister so gesehen haben, die sich in den 30er Jahres des 13. Jh. daran machten, den immer noch stehenden Teil der karolingischen Kirche abzureißen und im „modernen“ Stil neu zu errichten. Langhaus, Querhaus und die oberen Geschosse des Chores wurden hochgotisch. Der Chorumgang des Suger blieb bis auf die Rundstützen zum Binnenchor erhalten.

mit Stützen zum Binnenchor (13. Jh.) links. Rechts Mitttelsäule
zwischen 2 Kapellen
Architektur: Hochgotik, 13. Jahrhundert
Chor, Langhaus, Querhaus
Streng genommen ist Saint-Denis heute ein hochgotischer Bau mit frühgotischen Elementen.
Auch ich, eigentlich nur wegen des Suger-Chores hierher gekommen, konnte mich dem Zauber der Hochgotik nicht entziehen. Besonders da die Sonne mitspielte, und durch die bemalten Glasfenster Farbspiele auf dem Mauerwerk inszenierte.
Glas und Licht überall, in den Obergaden, den Fensterrosen des Querhauses und dem durchlichteten Triforium, das zwischen hohen Spitzbogen-Arkaden und großen Fenstern als einigendes Band Langhaus, Querhaus und Chor schmückt.
Im Gegensatz zu den meist 4-zonigen Aufrissen frühgotischer Kirchen, wurde hier 3-zonig gebaut. Dem Prinzip des Aufwärtsstrebens folgend, schießen die schlanken Dienste ohne Unterbrechung hoch hinauf bis zum Ansatz der vierteiligen Gewölbe.
Literatur
Barral i Altet, Xavier, Spätantike bis Mittelalter, in: Skulptur, Duby Georges; Daval, Jean-Luc (Hrsg.), Köln, Benedikt-Taschen-Verlag, 1999 - S. 352 ff
Binding, Günther, Was ist Gotik? Primus Verlag, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt, 2000 – S. 133ff., 170, 189ff.
Casselani, Roberto, Hrsg., Die Baukunst im Mittelalter, Patmos-Verlag GmbH & Co. Kg., Albatros-Verlag, Düsseldorf, 1995/2005
Conrad, Dietrich; Mertens, Klaus, Kirchenbau im Mittelalter, Edition Leipzig, 1990, 3. Auflage 1998
Erlande-Brandenburg, Alain; Gothic Art, Harry N. Abrams, Inc., Publishers, New York, 1989 (aus dem Französischen übersetzt). – S. 38ff., 507ff.
Kinder, Hermann; Hilgemann, Werner: dtv-Atlas Weltgeschichte,München, Deutscher Taschenbuch-Verlag, 25. Auflage, April 2000
Koch, Wilfried: Baustilkunde, Sakralbau, Gütersloh, Bertelsmann Lexikon-Verlag, 1993 – S.146ff.
Laule, Ulrike: Architektur des Mittelalters, Rolf Toman (Hrsg.), Berlin, Feierabend-Verlag, 2004
Martin, Henry (Hrsg.), L’Art Gothique (La Grammaire de Styles), Flammarion, Paris, 1961
Putzger, F.W.: Historischer Weltatlas, Velhagen & Klasing, Berlin, 1974
Simson, Otto von; Kurmann, Peter in: Das Mittelalter II, Propyläen-Verlag, Berlin, - S. 55, 58, 72ff.
Toman, Rolf, Hrsg, Gotik – Architektur, Skulptur, Malerei, Könemann Verlagsgesellschaft mbH. Köln, 1998
Netz
Saint-Denis, une ville au Moyen Âge
http://www.saint-denis.culture.fr/fr/2_1_denis.htm
UC Press E-Books Collection
http://publishing.cdlib.org/
Diverse Wikipedia-Seiten
Sonstiges
Wolff, Arnold, Gotische Kunstlandschaften, Vorlesungsreihe Karl-Rahner-Akademie, Köln, Januar/Februar 2004
Wolff, Arnold, Die gotischen Kathedralen, Vorlesungsreihe Karl-Rahner-Akademie, Köln Januar/Februar 2010
Eigene Beobachtungen