Romanik
Stabkirche Borgund
Zwischen Gräberfeld und grünem Hügel ein merkwürdig anmutendes Gebäude aus altersschwarzem Holz, an eine Pagode erinnernd. Heidnische Drachenköpfe auf sich stufenden Dächern, ein christliches Kreuz über dem Rundchor: Die Stabkirche Borgund, eine der schönsten der etwa 30 Bauten, die von rund Eintausend erhalten sind.
Geschichtliches
Bei der Einordnung des Baus darf die sich über einen langen Zeitraum hinziehende Christianisierung Norwegens nicht außer Acht gelassen werden.
Im 10. Jh. hatten einige norwegische Könige, mit dem Christentum in England in Berührung gekommen, die Bekehrung ihrer heidnischen Untertanen mit nicht überwältigendem Erfolg versucht. Daneben gab es Missionierungsversuche durch Gesandte des Erzbistums Hamburg-Bremen. 1024 unterstellte König Olav II. (Der Heilige) die sicher noch bescheidene norwegische Kirchenorganisation dem Erzbistum Hamburg.

130 Jahre später kam die Christianisierung Norwegens - als eigene Kirchenprovinz und mit der Errichtung des Erzbistum Nidaros (Trondheim) - zu einem gewissen Abschluss.
In diese Zeit fiel auch der Bau der Kirche in Borgund mit ihrer Verschmelzung von Wikinger-Traditionen und christlicher Kultur.

Konstruktion
Im Osten Skandinaviens dominierte bei Holzbauten die materialverschlingende und erdverbundene Blockbauweise. Aber auch in Norwegen haben sich aus dem 15. Jh. zwei Kirchen in diesem eher primitiven Stil erhalten.
Dagegen sind die größeren Stabkirchen der Höhepunkt der in Skandinavien im Mittelalter verbreiteten Holzkonstruktionen (meist aus Kiefer).
Ursprünglich waren die Skelette der Stabkirchen Pfostenkonstruktionen deren Lebensdauer wegen im Boden verrottender Pfosten gering war. Bei den heute erhaltenen Bauten wurden gelegentlich Vorgänger in der überholten Technik nachgewiesen.

Heute sehen wir Stäbe (Masten) auf soliden Steinfundamenten ruhend. Sie tragen den erhöhten Mittelraum des Langschiffes. Schmale Seitenschiffe unter Pultdächern umgeben ihn, nach außen abgetrennt durch senkrechte mit Nut und Feder verbundene Bretterwände. Ein wenig erinnert der Grundriss an steinerne Basiliken. Um die Seitenschiffe herum verläuft ein ebenfalls mit Pultdächern gedeckter Umgang (Svalgang) mit Zwergarkaden zwischen niedriger Traufe und senkrechter Bretterwand.
Den Chor im Osten mit apsidialem Abschluss umgeben vier Eckstäbe.
Borgund ist eine der technisch anspruchsvollsten Kirchen, die einer ganzen Typenreihe ihren Namen gegeben hat.


Während einfache Stabkirchen mit 4 Masten an den Ecken auskommen, tragen hier allein 14 Stäbe den erhöhten Mittelraum. Das Skelett wird durch ein kompliziertes System von Streben und Andreaskreuzen gehalten und schließt ab mit einer anspruchsvollen schindelgedeckten Dachkonstruktion.
Die Kirche hat einen West- und einen Südeingang. Die Portale sind mit Schnitzwerk geschmückt, das westliche reichhaltiger als das südliche.
Restaurierungen
Diese Stabkirche ist eine der am besten restaurierten. Ganz sauber ist die Trennung zwischen Alt und Neu nicht möglich. Der größte Eingriff ist wohl die Entfernung des Querschiffes nach der Reformation.
Stäbe, Streben, Dielen und Wandbretter sind weitgehend mittelalterlich. Das gilt vor allem für die Mittelräume von Schiff und Chor. Auch der Svalgang stammt größtenteils aus jener Zeit, wie auch Dachreiter und Apsis mit Turmaufbau. Die Drachenköpfe und weitere Teile der Dachkonstruktion wurden erneuert.
Stabkirchen hatten keine Fenster, sondern nur kleine runde Öffnungen. In Borgund hat man die bei früheren Restaurierungen eingesetzten Fenster wieder entfernt.


Der Glockenturm - die einzige freistehende hölzerne Konstruktion aus dem Mittelalter in Norwegen, - mit einer Glocke aus jener Zeit, hatte sehr unter Witterungseinflüssen gelitten und musste umfassend erneuert und geschützt werden.
Bauschmuck
Die Reformation, nach der keine Stabkirchen mehr errichtet wurden, hat in Norwegen nicht in dem Maße gewütet wie in anderen Ländern. So blieb in manchen Kirchen wertvolle mittelalterliche Innenausstattung erhalten.
Nicht so in Borgund. Das schlichte Taufbecken soll aber mittelalterlich sein.
Die Andreaskreuze sind durch Schnitzerei ornamentiert und schlicht bemalt. Die meisten Stäbe tragen oben anstelle eines Kapitells geschnitzte Masken.



Dafür aber sind West- und Südportal reich mit Schnitzereien im Stile der germanischen Tierornamentik geschmückt. Schlangen, Drachen und Vögel sind so eng miteinander verwoben, dass es dem ungeübten Auge schwer wird, Einzelheiten zu erkennen. Wilde Tiere und Fabelwesen sollten bösen Geistern den Zutritt verwehren. Die gleiche Aufgabe hatten die Drachenköpfe auf den Dächern, die auch an den Bugschmuck der Wikingerschiffe erinnerten.

Literatur
Futagawa, Yukio, in: Holzhäuser in Europa, Nachwort, W. Kohlhammer, Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz, 2. Auflage, 1980